Die schwarze Märchenerzählerin
"Uledi!" rief am anderen Morgen
die alte Negerin Amina, die in Umutti der Küche vorstand, indem sie in
die Kammer des Burschen trat; "was schläfst du heute solange! Bwana
(Herr)Msungu (Ausländer) wartet auf dich!" Uledi schlief nicht mehr,
langsam erhob er sich von der Matte, die ihm als Lager diente. "Mag er
warten"" murmelte er für sich und trat gemächlichen Schrittes vor. Er
war auf Scheltworte gefasst, aber es hätte ihm nur Freude bereitet,
hätte er gesehen und gehört, dass er seinen Feind, den Msungu, geärgert
hat. Er war aber nicht wenig erstaunt, als ihn der Herr von Umutti mit
freundlicher Miene empfing. "Du warst wohl müde von dem Marsche, den du
gestern gemacht hast, und darum hast du die Zeit verschlafen? Nimm dein
Frühstück und begleite mich, wir wollen in die Pflanzung gehen".
Bald darauf folgte Uledi seinem Herr und trug die Jagdflinte: Böse Gedanken beschäftigten ihn.
"Wie oft bin ich hinter ihm in
dieser Art im Walde gegangen!" meinte er. "Wie leicht hätte ich ihn
töten können! Wenn Moharra das wüsste!"
"Uledi," sprach indessen der
Msungu, "ich will dir etwas sagen. Merke aber gehörig auf! Die Sache ist
wichtig. Du kommst bald in die Jahre, da du dir einen eigenen Hausstand
gründen kannst. Willst du immer ein Pagasi bleiben? Oder - möchtest du
nicht lieber der Herr einer Schamba ( Kleine Plantage ) sein? Denke dir,
wenn du ein Bwana wärest, der sein eigenes Haus, seine Felder und
Ziegen und Schafe besitzt? Wäre das nicht schön, mein Sohn?"
Der Msungu wandte sich um, und
Uledi schaute betroffen in den prüfenden Blick seines Herrn. Er wurde
verwirrt, denn er glaubte sich verraten; las denn der Msungu auf dem
Grunde seines Herzens? Der Herr von Umutti musste seine Frage
wiederholen, bis Uledi sich so weit sammelte, das er antworten konnte:
"Ja, Herr, das wäre schön!"
"Gut", fuhr der Msungu fort; "ich
will dir zu einer Schamba verhelfen. Meine Kaffeebäumchen in der
Schlucht müssen sorgfältiger bewacht werden. ein aufmerksamer, fleißiger
Mensch muss in der Nähe wohnen. Ich will darum an der Kaffeepflanzungen
ein Haus bauen lassen und dich einsetzen. Um das Haus werden wir einen
Garten anlegen und in demselben Bananen, Erdnüsse und Gurken pflanzen.
Das wird der Anfang einer Schamba sein, die wir von Jahr zu Jahr größer
machen werden. Bewachst du meine Bäumchen gut, das sie blühen und
Früchte tragen, so werde ich dir als Belohnung die Schamba schenken.
Der Msungu schwieg und ließ Uledi
Zeit zum Besinnen. Die brauchte auch Uledi, denn das alles kam ihm so
unvermittelt. eine Schamba war ja seit gestern sein innigster Wunsch;
dass er eine Schamba nicht besaß, daran waren ja nur die Wasungu schuld;
nun bot ihm sein Msungu den Besitz einer Schamba an. Das war ein so
merkwürdiges Zusammentreffen, das Uledi es nicht begreifen konnte.
Der Herr von Umutti dachte, dass
sein Diener denkfaul sei, und er drängte nicht weiter in ihn. "Überlege
es dir", sagte er, "wir wollen später wieder davon sprechen!"
Beide betraten inzwischen eine
waldige Schlucht, die etwa 15 Minuten von Umutti entfernt war. In ihrer
Mitte floss ein Gebirgsbach, an dessen einem Ufer sich die kleine
Pflanzung von Kaffeebäumchen ausdehnte, in der bereits einige Wakami
tätig waren. Sie machte durchaus keinen großartigen Eindruck, denn alles
war hier noch in Anfängen begriffen. Hier lagen die Samenbeete, aus
welcher die Keimlinge gerade hervorschauten, dort stand die älteste
Anpflanzung, noch unscheinbare, kaum einen Fuß hohe Büsche; weiter
schluchteinwärts sah man kahlen, ungehackten Boden, in welchem die
Wakami in einer Entfernung von je zehn Fuß Pflanzenlöcher ausgruben. In
diese sollten die jungen Bäumchen verpflanzt werden, aus denen erst die
wirkliche Pflanzung emporblühen konnte.
An diesem Tage gab es besonders
viel zu tun, und der Herr von Umutti leitete selbst das Verpflanzen der
Bäumchen, damit die empfindlichen Wurzeln nicht beschädigt wurden. Zu
seiner Freude zeigten sich die Wakamifrauen besonders anstellig und
geschickt; sie waren ja von Jugend auf an das Säen und Pflanzen in ihren
Gärten gewöhnt.
Die Mittagsstunde nahte bereits,
und die übliche Rast sollte beginnen. Der Herr von Umutti schaute sich
nach seinem Diener um, aber Uledi war nirgends zu sehen. Er fragte nach
ihm, und da erwiderte ihm Koko, ein junges, flinkes Wakamimädchen:
"Bwana Msungu, dein Uledi sitzt in
schlechter Gesellschaft. Er plaudert im Walde mit dem alten Moharra,
und dieser spottet über deine Bäumchen. Ich habe ihn belauscht, als er
zu Uledi sprach: Du wirst lange warten können, bis die Bäume blühen und
Früchte tragen werden!
Die Araber trinken den Kaffee
gern, und wenn der Baum hier gedeihen wollte, so hätten sie ihn längst
angepflanzt. Haben sie nicht andere Dinge, Reis, Mais und Zuckerrohr,
nach Sanzibar gebracht?" "Moharra ist ein alter geschwätziger Narr;"
erwiderte der Herr von Umutti. "Glaubt nicht seinen Worten!" "Wie sollen
wir es auch!" rief Koko. "Wir wissen ja recht gut, dass die Araber den
Mais nicht über die Länder verbreitet haben":
Der Msungu unterbrach aber das
redselige Mädchen und befahl ihm, Uledi zu holen. Koko verschwand im
Walde, und der Pflanzer schritt allein nach Hause. Er hatte schon früher
bemerkt, dass der alte Sklaventreiber Moharra sich an seine Leute
heranmachte, um sie widerspenstig oder widerwillig zu stimmen. Aber er
hatte in Simbaweni erfahren, dass der Alte wieder mit einer Karawane ins
Innere ziehen wollte, und so ließ er ihn gewähren. Am Eingange von
Umutti holte Uledi seinen Herrn ein. "Was wollte der alte Moharra von
dir?" fragte der Msungu. "Entschuldige, Herr!" erwiderte Uledi
unterwürfig. "Moharra zieht morgen ins Innere; er hat von mir Abschied
nehmen wollen."
Diese Antwort befriedigte den
Herrn von Umutti im höchsten Maße; da war von dem Einflusse des Alten
nichts mehr zu befürchten. Uedi aber schlängelte sich an seinen Herrn
heran und begann, von der künftigen Schamba zu sprechen. Erschien von
der Aussicht auf ein selbständiges Heim geradezu begeistert zu sein.
"Wirst du aber auch ausharren, bis die Bäume blühen und Früchte tragen?
fragte spöttisch der Msungu. "O Herr!" rief Uledi. "Koko hat den alten
Moharra belauscht und hat dir das aus Rache erzählt, denn sie glaubte,
dass ich auf sie allein im Walde warte. Ich werde warten, bis die Bäume
blühen - und, Herr, Koko wird mit mir warten!"
Den Herr von Umutti schaute
überrascht auf seinen jungen Diener; er erwiderte ihm nicht. Er wollte
sich die Sache erst überlegen. Vielleicht war es gut, wenn ein junges
Paar die künftige Schamba beziehen würde; aber er wollte die jungen
Leute erst prüfen.
Am Abende desselben Tages war
unter dem Patriarchenbaume eine größere Gesellschaft versammelt. der
Herr von Umutti bewirtete seine Wakamiarbeiter und mischte sich unter
sie; denn er wollte die Aussagen des alten Moharra widerlegen und den
Leuten etwas von der Bedeutung des Kaffeebaumes mitteilen; inmitten
Afrikas hielt er in der Landessprache, die er ganz und gar beherrschte,
einen volkstümlichen Vortrag. "Im Lande der Neger," so erzählte er,
"lebte einst ein Medizinmann, einmal sah er, dass seine Ziegen die
Beeren eines immergrünen, strauchartiges Baumes fraßen, und bemerkte,
dass die Tiere in der darauffolgenden Nacht nicht schliefen, sondern
voller Munterkeit umhersprangen.
Der Mann war klug, er pflückte die
Beeren und aß sie gleichfalls. Da fand er, dass sie auch bei ihm die
Müdigkeit verscheuchten. Genoss er die Beeren, so konnte er besser
arbeiten, länger marschieren und brauchte nicht solange zu schlafen. Da
aber die Beeren herb schmeckten, so lernte er aus ihnen ein
schmackhafteres Getränk bereiten, das er mit dem Safte des Zuckerrohrs
oder mit Honig versüßte. er teilte die Entdeckung seinen Brüdern mit,
und als einmal die Araber in das Land der Neger kamen, lernten sie den
Genuss des Kaffees kennen und schätzen. Sie nahmen Samen von dem Baume
mit und pflanzten ihn in Arabien. der Baum gedieh dort unter sorgsamer
Pflege, und bald tranken alle Araber den Aufguss seiner Beeren. Wer die
Bäume unter ihnen pflanzte, der wurde ein reicher und angesehener Mann.
Von den Arabern lernten andere Völker den Genuss des Kaffees, und die
Araber verkauften ihnen gern die Beeren für viele kostbare Ware. Ganze
Karawanen kamen nach Arabien und zogen mit vielen Lasten Kaffee in die
Heimat. Als aber die Leute den Samen in der Heimat pflanzten, da ging er
nicht auf, denn die Araber verkauften nur einen ausgedörrten Samen, der
seine Keimkraft verloren hatte.
Als die Leute wieder in das Land
der Araber kamen und ihnen ohne Not klagten, da lachten die Schlauköpfe
im stillen und sagten, so sei es, der Kaffeebaum wachse nur in Arabien;
und sie hüteten sich wohl, den Fremden Baumpflanzen oder guten Samen zu
geben. Es kam aber einmal ein kluger Mann nach Arabien, der sah zu, wie
die Araber mit dem Samen verfuhren, verschaffte sich richtige Bohnen,
die frisch und lebenskräftig waren und säte sie in seiner Heimat aus.
Und siehe da, sie gingen auf; er hegte und pflegte die jungen
Pflänzchen, er wartete geduldig, bis ein Jahr nach dem anderen verging
und sah zu seiner Freude, dass sie sich in einem Frühling mit
schneeweißen Blüten bedeckten und Früchte trugen. er gab von dem Samen
allen, die ihn haben wollten, und so verbreitete sich der Kaffeebaum
über viele Länder; nur die Neger glauben bis jetzt den Arabern und bauen
keinen Kaffee, denn im Laufe der Zeit haben sie die Entdeckung ihres
Medizinmannes vergessen. Und wie reich könnten die schwarzen Menschen
werden, wenn sie diese Bäume hegen und pflegen wollten! Die Araber, die
durch eure Dörfer ziehen, und die Wasungu, die euch besuchen, würden
euch die Bohnen abkaufen und sie besser bezahlen als eure Hühner und
Bananen."
Die Leute hörten aufmerksam zu, aber sie schwiegen; nur das Wakamimädchen Koko rief lachend;
"Bwana Msungu, ich will dir eine
ähnliche Geschichte erzählen, die Geschichte vom gelben Korne, dem Mais.
Wisst ihr, wie er in die Welt verbreitet wurde? Ein fremder Mann, der
mit einer Karawane tief aus dem Inneren gekommen ist, hat mir das
gesagt. Soll ich euch die Geschichte erzählen?" Die Leute horchten auf.
Seit längerer Zeit bauten sie selber den Mais an; seine Geschichte
interessierte sie augenscheinlich mehr, als die des ihnen so fremden
Kaffees. Ein beifälliges Gemurmel erhob sich in der Runde, und man rief
einhellig:
"Koko soll erzählen!" Die junge
Negerin erhob sich und stellte sich näher an das Feuer, das vor dem
Patriarchenbaume angezündet wurde. Die Leute sollten nicht nur ihre
Worte hören, sondern auch ihre Gebärden beim Vortrage sehen. Sie wandte
sich gegen den Herrn von Umutti und begann:
"Vor langer, langer Zeit war es.
Fern von dem Lande der Wakami lag damals ein schöner Landstrich, den die
Leute Kesi nannten und in dem ein König namens Odschoko regierte. Ob er
ein Araber war, weiß ich nicht; aber er war ebenso schlau wie die
Araber, von denen du uns erzählt hast, Bwana Msungu. Damals lebten die
Menschen nur von Bananen, Erdnüssen, Gurken und Melonen, von den
Früchten der Waldbäume und der Jagdbeute. Das Korn kannten sie nicht,
weder die Gerste, noch den Reis, noch den Mais. Ein Geist, der den
Menschen wohl wollte, erschien dem Könige Odschoko in Gestalt eines
Greises. Er zeigte ihm auf einer Wiese ein hohes Gras mit korngefüllten
Kolben und lehrte ihn, wie man daraus Mehl gewinnen und Speisen bereiten
könne.
Odschoko sammelte die gelben
Körner, säte sie aus und sah, dass sie sich vermehrten. Er säte sie
wieder und wieder, so dass er nicht nur sich und auch alle seine
Untertanen damit ernähren konnte, sondern noch einen Überfluss zurück
behielt. Da kamen die Nachbarvölker zu ihm und wollten gleichfalls von
der gesunden, kräftigen Nahrung haben. Odschoko verkaufte aber das Korn
zu hohen Preisen und traf dabei Anstalten, dass die Nachbarvölker es
nicht selber bauen konnten. Er ließ alles Korn, dass an Fremde verkauft
wurde, vorher mit heißem Wasser abbrühen, dass es die Kraft aufzukeimen
verlor. Für die Nichtbefolgung seines Gebotes drohte er die Todesstrafe
an; den Fremden aber ließ er sagen, dass das Korn nur in Odschokos Land
wachsen könne. Als die Fremden in ihr Land heimkehrten, säten sie doch
die Körner aus, da sie aber nicht aufgingen, glaubten sie Odschokos
Worten und kamen nach wie vor in sein Reich und gaben ihm für das
abgebrühte Korn Elfenbein und Tierfelle, dass er unermesslich reich
wurde.
In der Nähe von Kesi wohnte aber
ein König Namens Uka, der eine wunderschöne Tochter hatte, die man
Nirezi oder Morgenstern nannte. König Odschoko begehrte sie zu seiner
Frau, und Uka willigte ein. Nun verkehrten die Leute von Uka häufiger in
Kesi, und Uka kam dahinter, dass Odschoko den rechten Samen den anderen
Völkern vorenthalte. Er sandte darum Boten an seine Tochter Nirezi, sie
möchte ihm doch heimlich von dem echten Samen des gelben Kornes senden.
Nirezi aber ließ ihm erwidern: "Vater, deine Tochter hat dich lieb,
aber jeder, der den kräftigen Samen aus dem Lande Kesi ausführen wollte,
wird nach dem Gesetzen des Landes mit dem Tode bestraft.
Willst du den Tod deines Kindes?" Da wurde Uka betrübt und bedrängte sein Kind nicht mehr mit seinen Bitten.
Eines Nachts aber erschien ein
Greis dem Häuptlinge Uka im Traume und sprach zu ihm: "Sende deiner
Tochter drei Hühner, und du wirst von ihr den gewünschten Samen
erhalten!" Uka war erstaunt darüber; er wählte aber drei seiner
schönsten Hühner und rief einen Boten herbei, damit dieser die Vögel
seiner Tochter überbrachte. In derselben Nacht war aber der Greis auch
der Königin Nirezi im Traume erschienen und hatte zu ihr gesprochen:
"Füttere die Hühner deines Vaters mit dem keimkräftigen Korne des
Landes!"
Als Nirezi erwachte, war sie sehr
erstaunt; denn sie konnte den Traum nicht deuten. Wie öffnete sie aber
vor Staunen den Mund, als am Mittage der Bote ihres Vaters erschien und
ihr drei Hühner brachte. Da besann sie sich auf den Traum, ging in den
Speicher des Königs, nahm von dem keimkräftigen Korne und fütterte damit
die Hühner. Nachdem sich diese satt gefressen, dass sie nicht mehr
konnten, gab sie die Vögel dem Boten zurück und ließ sie dem Vater
zurückbringen.
Als der Bote an die Grenze des
Landes kam, hielten ihn die Wächter Odschokos auf und forschten, ob er
Korn bei sich trage. Da sie aber nur die Hühner fanden, ließen sie den
Mann unbehelligt weiter ziehen. König Uka erwartete ungeduldig die
Rückkehr des Boten, er war aber enttäuscht, als dieser ihm kein Sack
Kornes, sondern die Hühner brachte.
In seinem Zorne schlachtete er die
Vögel; als er aber sah, dass deren Kröpfe voll der gelben Körner waren,
da öffnete er vor Staunen den Mund, nahm die Körner und steckte sie in
die Erde, ohne jemand davon zu sagen. Die Körner gingen auf; König Uka
schwieg aber und wartete etwas, bis die Pflanzen gelbe Kinder brachten.
als dies geschah, rief er die benachbarten Häuptlinge herbei:
"Seht, Odschoko hat uns betrogen; das gelbe Korn reift auch in meinem Lande. Odschoko verkauft uns nur untauglichen Samen."
Da nahm jeder der Häuptlinge einen
Kolben an sich, und jeder steckte die Körner in seinem Lande. Überall
gingen die Körner auf, und überall brachten sie gelbe Kinder. Da wurden
die Völker wütend auf Odschoko und erklärten ihn den Krieg. Sie töteten
ihn und zerstörten sein Reich; Nirezi aber gaben sie dem schönsten und
mächtigsten König als Frau.
Diese Erzählung Kokos wurde von
den schwarzen Zuhörern mit großem Beifalle aufgenommen. Man warf die
Frage auf, ob denn Nirezi wider das Verbot ihres königlichen Gemahls
gehandelt habe, und die Mehrzahl entschied dahin, dass die Ältesten des
Landes Kesi die junge Frau hätten freisprechen müssen, wenn sie vor ihr
Gericht gestellt worden wäre. Auch der weiße Herr von Umutti hatte mit
Interesse der Erzählung zugehört und beschlossen, sie in sein Tagebuch
einzutragen, damit diese afrikanische Sage auch den Leuten in Europa
bekannt würde. Er betrachtete mit Wohlgefallen das aufgeweckte und
redegewandte Mädchen und forderte es auf, noch eine Geschichte zu
erzählen. In diesen Wunsch stimmten auch die Schwarzen ein, und Koko
begann von neuem:
"Bwana Msungu! Wir haben bis jetzt
von Pflanzen erzählt; damit du etwas anderes hörst, will ich dir von
der Klugheit der Tiere berichten. was ich jetzt erzählen werde, ist wahr
wie der Tag und hat sich vor langen Jahren zugetragen.
Der mächtige Löwe, von dessen
Gebrüll alle Tiere erzittern, lebte am Rande des Wassers in der Nähe
eines Flusses, zu dem die Tiere zur Tränke kamen. er überwältigte sie
leicht und konnte mit ihrem Fleische seinen Hunger stillen. So fraß er
zur Abwechslung verschiedene Tiere, bald den Büffel, bald die Giraffe,
bald das Zebra, bald die Antilope; nur den flinken Hasen hatte er
niemals gekostet, denn dieser witterte die Gefahr und kam nicht zu der
Tränke, an welcher der Löwe lauerte; er blieb in der kurzgrasigen
Steppe, in welcher er die Annäherung des Feindes aus der Ferne
beobachten konnte. Verschiedene Male versuchte der Löwe den Hasen zu
erjagen, aber der Schnellfüßige entwischte ihm immer.
Da sann der mächtige Löwe auf List
und erkundete, wo sich die Höhle des Hasen befand. Und als der Hase
einmal auf die Weide gegangen war, schlich er in dessen Höhle und
verbarg sich darin, um den Heimkehrenden in seinem eigenen Hause zu
erwürgen.
Als nun der Hase heimkehrte, sah
er die Spuren des Löwen und fand, dass sie in sein eigenes Haus führten.
Er schöpfte Verdacht, blieb eine Weile sitzen und überlegte, wie er
ermitteln könnte, ob der Löwe in seiner Höhle sich verberge. Gedacht,
getan! Er sprang auf und lief gegen seine Höhle, blieb dann in guter
Entfernung stehen und rief :"Guten Tag, mein Haus! Guten Tag, mein
Haus!"
Der Löwe in der Höhle saß still und freute sich des leckeren Mahles, das ihm bevorstand.
Der Hase aber sprach laut: "Wie
geht das nur zu? Sonst erwidert mir mein Haus immer meinen Gruß. Sollte
am Ende ein Fremder im Hause sein? Und er rief von neuem: "Guten Tag,
mein Haus! Guten Tag, mein Haus!" Da wurde der Löwe unruhig, denn er
fürchtete, der Hase könnte aus Furcht seine Höhle nicht betreten, und er
brüllte mit verstellter Stimme: "Guten Tag! Guten Tag!"
Der Hase aber erkannte sofort die
Stimme seines starken Feindes, lief lachend davon und mied sein Haus. Da
musste der Löwe hinaus, wenn er in der Höhle, nicht verhungern wollte,
und seit jener Zeit verachtet er den Hasen und stellt dem geringen Tiere
nicht nach.
Das ist die Geschichte von dem
Löwen und dem Hasen, und sie ist wahr, ich sage es euch; denn ist es
nicht wahr, dass die Kraft allein nutzlos ist, wenn die Klugheit fehlt?"
Wiederum erntete Koko reichen Beifall, und wiederum wurde sie aufgefordert, weiter zu erzählen.
"Ich will euch eine andere wahre
Geschichte erzählen," begann sie. "Einst kam es dem Löwen und dem
Leoparden in den Sinn, sich Vieh zu halten, wie die Menschen es tun.
Beide schlossen sich zusammen und fingen auf der Weide einen Ochsen und
eine Kuh weg, die sie in den Wald trieben. Hier teilten sie die Beute,
und da der Ochse stattlicher war als die Kuh, brüllte der Löwe: "Der
Ochse ist mein!" und überließ dem Leoparden die schwächere Kuh. Nach
einiger Zeit aber geschah es, dass die Kuh ein Kalb warf, und der
Leopard erhob darauf Anspruch. Der Löwe aber gönnte seinem Vetter das
Kalb nicht und behauptete, der Ochse hätte es geworfen.
So gerieten die beiden in einen
Streit und beschlossen, die Tiere als Schiedsrichter aufzurufen. Keins
der anderen Tiere wollte aber gegen den Löwen entscheiden. Alle meinten,
die Waldäffin solle das Urteil fällen. Da ließ der Löwe die Waldäffin
rufen, aber sie kam nicht. Der Löwe wurde ungehalten und drohte ihr mit
seinem Zorne, aber sie ließ immer auf sich warten.
Endlich erschien sie und stellte sich neben einen Baum vor die Waldburg des Königs der Tiere.
"Ungehorsame," herrschte sie der
Löwe an, "warum bist du nicht gekommen, da ich dich gerufen habe? Du
sollst deine Strafe erhalten!" drohte er ihr, da er sie einschüchtern
und zu einem ihm günstigen Urteile bewegen wollte.
Da sprach die Waldäffin:" Entschuldige, mächtiger Löwe! Habe ich deinem Boten nicht erwidert: Ich komme gleich!
Ja, brüllte der Löwe, aber du bist
nicht gekommen! Du siehst, erwiderte die Waldäffin, dass ich kommen
wollte, aber ich konnte es nicht. Sobald ich den Wald verließ und über
die Steppe zu dir eilen wollte, wich die Erde unter meinen Füßen und
spaltete sich tief und breit. Ich musste erst warten, bis der Adler kam
und mich hoch in der Luft über die Steppe trug. Frage ihn als Zeugen!"
Das Letztere konnte nun der Löwe nicht tun, denn er gebot nicht den
Vögeln der Luft und wusste, dass der Adler seinem Rufe nicht folgen
würde.
Er brüllte darum die Äffin an:
"Das sind Lügenmärchen! Wie kann die Erde unter deinen Füßen weichen und
sich tief und breit spalten?" "Meinst du das, mächtiger Löwe? erwiderte
die Waldäffin. "Glaubst du mir nicht? Nun so will ich dich fragen, du
Kluger: Wie kann ein Ochse ein Kalb gebären?" Und bevor der Löwe von der
Aufwallung des Zornes und dem Gefühle der Schande sich sammeln konnte,
schwang sich die Waldäffin in die Kronen der Waldbäume und rief: "ich
habe meinen Schiedsspruch getan! rufe mich wieder, wenn du mich
brauchst!" Und sie verschwand im Walde.
Und wahr ist die Geschichte, ich
sage es euch allen, die ihr sie gehört habt! Man muss den Ungerechten
mit seinem eigene Unrechte schlagen!"
Koko erzählte noch viele ähnliche
Geschichten, und zu den aufmerksamsten Zuhörern gehörte der weiße Herr
von Umutti; denn an diesem Abend blickte er tief in die Seele der
Schwarzen und erfuhr, dass sie einen Schatz an Sagen und Fabeln besaßen,
der nur einem regen Geiste seinen Ursprung verdanken konnte. Die
Tiergeschichten Kokos gestalteten sich allmählich zu einem Tierepos, das
unserem "Reineke Fuchs" aufs Haar glich. Die Mitternacht war längst
vorüber, als die Wakami Umutti verließen. Die Märchenerzählerin Koko
hatte aber an jenem Abende die volle Gunst des Msungu gewonnen, der nun
nichts dagegen hatte, dass sie in der neuen Schamba an der
Kaffeepflanzung schalten und walten sollte.
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